Warum ich mich öffentlich mit ADHS und Autismus auseinandersetze: Ein persönlicher Einblick.

Seit ich den Weg der Diagnostik in den Bereichen ADHS und Autismus gehe, werde ich immer wieder gefragt: „Warum möchtest du dich diagnostizieren lassen? Und warum machst du das öffentlich?“ Diese Fragen sind durchaus verständlich und ich möchte hier offen und ehrlich darüber sprechen, warum ich diesen Weg gewählt habe und welche Beweggründe mich dazu antreiben.

Ein Leben als People Pleaser: Der Weg des sozialen Chamäleons

Seit meiner frühen Kindheit habe ich mich als das perfekte brave Kind präsentiert. Ich war ruhig, gehorsam und habe mein Bestes getan, um mich anzupassen. Draußen jedenfalls. Ich wollte stets anderen gefallen und habe mich bemüht, in allen sozialen Situationen „richtig“ zu handeln. Als echtes soziales Chamäleon war mein Ziel, nie negativ aufzufallen und immer im positiven Licht dazustehen. Von allen gemocht zu werden, vor allem von denen, die mehr Ablehnung signalisierten.

Doch trotz meiner Bemühungen, mich perfekt anzupassen und anderen zu gefallen, war ich nie ganz frei von negativen Kommentaren und Kritik. Ich erlebte Hänseleien und Mobbing, obwohl ich mich in meiner Rolle als brav und angepasst versuchte. Ich war immer das ‚Opfer‘. Ob in der Grundschule, in der ich von Mitschüler*innen oder gar der Lehrerin bloßgestellt, gehänselt und geärgert wurde, von der gesamten Wohnsiedlung bei Straßenfesten ausgeladen wurde, während ich am Fenster heimlich zuschaute, wie alle anderen Kinder spielten und Spaß hatten. Von vermeintlichen Freundinnen, die mir Hassbanner vor die Tür stellten mit sämtlichen Beleidigungen, negativen Kommentaren zu meinem Körper und mehr.

Die Entscheidung zur Diagnose: Ein Weg zur Selbstakzeptanz

Letztendlich habe ich beschlossen, mich auf den Weg der Diagnostik zu begeben, um Klarheit über meine eigenen Herausforderungen und Bedürfnisse zu bekommen. Für mich war dieser Schritt ein wichtiger Teil des Prozesses der Selbstakzeptanz. Jahrzehntelang habe ich mich selbst als faul, dumm, merkwürdig oder unfähig empfunden. Trotz aller Bemühungen und Anstrengungen hatte ich oft das Gefühl, nie genug zu sein. Dass ich ADHS oder gar AuDHS haben könnte, kam mir nie in den Sinn. Ich war weder Monk noch ein Zappelphilipp.

Erst als eine Bekannte ihre Diagnose öffentlich machte und ich mir ebenfalls dachte „hä?! Die doch nicht“, las ich mich ein und bekam einen AHA-Effekt nach dem anderen. Meine komplette Kindheit wurde beschrieben, meine Jugend, mein Erwachsensein. Und dennoch hat es Jahre gedauert, bis ich den Mut fand, mich an die Diagnostik zu machen. Denn war es wirklich alles so schlimm? Spinne ich nicht nur? Bin ich einfach ein Hypochonder, wie mir mein nahes Umfeld gerne suggerierte?

Die Anamnese war dann direkt erst einmal ein Schlag ins Gesicht, da ich direkt den Satz bekam: „Ne, also Autismus schließe ich aus, immerhin können Sie mir in die Augen schauen und wollten als Kind zum Theater“ (Spoiler: war ich übrigens nie). Die darauffolgenden Tests waren allerdings eindeutig und so bekam ich recht schnell das Ergebnis: AuDHS. Doch die Zweifel blieben. Habe ich die Tests manipuliert? Stimmt das Ergebnis oder wollte ich einfach nur eine Erklärung für mein Sein, eine Entschuldigung für all die Fehlschläge? Damit geht es mir übrigens nicht alleine so. Diese Gedankengänge haben viele, vor allem Frauen.

Mit der Diagnose von ADHS und Autismus kommt eine neue Dimension der Selbstakzeptanz ins Spiel. Es ist ein Verständnis dafür, dass manche Dinge einfach nicht so funktionieren, wie ich es mir wünschen würde und dass ich andere Wege finden muss, um bestimmte Aufgaben zu bewältigen. Diese Erkenntnis ist befreiend, denn sie ermöglicht es mir, meine eigenen Grenzen besser zu erkennen und mich selbst in einem neuen Licht zu sehen.

Warum öffentlich?

Der Gedanke, meine Diagnose öffentlich zu machen, kann auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Doch ich bin der Überzeugung, dass Offenheit und Transparenz dazu beitragen können, das Bewusstsein für ADHS und Autismus zu schärfen und anderen zu helfen, ähnliche Erfahrungen besser zu verstehen.

1. Schaffung von Bewusstsein: Indem ich öffentlich über meine Diagnose spreche, hoffe ich, das Bewusstsein für ADHS und Autismus zu erhöhen. Diese Themen sind oft mit Stigmatisierung und Missverständnissen behaftet. Durch meine persönliche Geschichte möchte ich dazu beitragen, diese Themen zugänglicher und verständlicher zu machen.

2. Austausch von Erfahrungen: Ich erhoffe mir, durch diesen Austausch von Erfahrungen von anderen zu lernen, die ähnliche Wege gegangen sind. Der Dialog mit Menschen, die ähnliche Herausforderungen gemeistert haben, kann unglaublich wertvoll sein. Gemeinsam können wir uns gegenseitig unterstützen und hilfreiche Strategien und Perspektiven teilen.

3. Selbstakzeptanz und Verständnis: Die öffentliche Auseinandersetzung mit meiner Diagnose ist auch ein Schritt zur weiteren Selbstakzeptanz. Indem ich meine Erfahrungen teile, hoffe ich, ein besseres Verständnis für mein eigenes Verhalten und meine Bedürfnisse zu fördern. Es ist eine Möglichkeit, anderen zu zeigen, dass es nicht um eine „I-don’t-care-Haltung“ geht, sondern um echte Schwierigkeiten, die man auf seine Weise bewältigen muss.

4. Überwindung von Stigmatisierung: In der Gesellschaft gibt es oft Vorurteile und Missverständnisse über psychische und neurodiverse Bedingungen. Durch meine Offenheit hoffe ich, diese Stigmatisierung zu reduzieren und ein Umfeld zu schaffen, in dem solche Themen offen besprochen und akzeptiert werden.

Die Reise zur Selbstakzeptanz

Die Reise, sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren, ist nicht immer einfach. Die Diagnose von ADHS und Autismus hat mir geholfen, einige meiner Schwierigkeiten in einem neuen Licht zu sehen. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem ich lerne, mit meinen Stärken und Schwächen umzugehen und mich selbst in einem positiveren Licht zu sehen.

Die Erkenntnis, dass ich nicht „schlecht“ oder „ungenügend“ bin, sondern einfach nur andere Wege finden muss, um bestimmte Herausforderungen zu meistern, ist unglaublich befreiend. Die Akzeptanz meiner eigenen Grenzen und die Suche nach Wegen, um mit diesen Herausforderungen umzugehen, ist ein wichtiger Teil meiner Reise.

Schmerzhaft wird es allerdings, wenn die eigene Familie und generell der enge Kreis teilweise gar kein Verständnis hat. Dem Ganzen nicht glaubt und darüber weder etwas hören noch lesen möchte. Es einem gänzlich abgesprochen wird.

Ein Aufruf zum Austausch

In den kommenden Wochen möchte ich dieses Thema weiterhin aufgreifen und freue mich auf den Austausch mit euch. Euer Feedback, eure Erfahrungen und eure Perspektiven sind mir wichtig. Wenn ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt oder einfach nur eure Gedanken zu diesem Thema teilen möchtet, lade ich euch ein, in den Kommentaren oder per Nachricht mit mir in Kontakt zu treten. Gemeinsam können wir ein besseres Verständnis für ADHS und Autismus fördern und uns gegenseitig unterstützen.

Letztendlich geht es darum, offen und ehrlich über die Herausforderungen des Lebens zu sprechen und uns gegenseitig zu unterstützen. Durch unsere gemeinsamen Erfahrungen und Gespräche können wir dazu beitragen, eine inklusivere und verständnisvollere Welt zu schaffen – für uns selbst und für zukünftige Generationen.

Ich freue mich darauf, von euch zu hören und gemeinsam an einem besseren Verständnis für ADHS und Autismus zu arbeiten. Bis dahin wünsche ich euch alles Gute und viel Stärke auf eurem eigenen Weg.

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