Privat: Wie meine Schwester mein Leben prägt. Von ganz besonderen Menschen.

geschwisterliebe

Ich möchte euch heute über einen ganz besonderen Menschen in meinem Leben erzählen. Wie ich als Person heute ohne meine Schwester wäre? Das ist wahrlich nicht leicht bis überhaupt nicht zu beantworten. Was ich aber ganz klar sagen kann, ist, dass ich nicht der Mensch wäre, der ich nun bin, wenn es meine Schwester nicht geben würde.

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Wie alles begann.

Sie war erst ein paar Tage jung. Wusst’ kaum, wie man die Augen öffnet und was hier geschieht. Sie war kaum angekommen auf dieser Erde, schon hatte sich das Schicksal gegen sie gewandt und alles verändert. Die Luft wurde ihr genommen, für ganze fünf Minuten. Was viele nicht zu überleben vermögen, ließ sie nicht aufgeben. Ihr winziges Kämpferherz schlug, was es konnte, doch aus der Narkose erwachte ein neuer Mensch. Die Unaufmerksamkeit des OP-Personals führte zu einem zerebralen Schaden meiner Schwester und machte sie in dieser Sekunde zu einem schweren Pflegefall. Als dies geschah, war ich noch lange nicht in Planung. Meine kleine große Schwester ist ganze 13 Jahre älter als ich und dennoch wird sie immer meine kleine Maus bleiben. Gut, dass sieht sie öfter anders und ist ab und an genervt, wenn ich mich wie die größere Schester benehme, aber auch wir sind eben nur ganz normale Geschwister ^^.

Die ist kaputt.

Kaputt würden sie die einen nennen, wir nennen sie das größte Glück, das uns passieren konnte. Dieser kleine Mensch hat uns mehr geformt und geprägt als es sonst jemals jemand hätte tun können. Man fragt sich vor allem am Anfang, warum das gerade einem selbst passieren musste. Vor allem als ich noch ganz klein war, fand ich es unfassbar ungerecht, dass mir bzw. meiner Familie das passieren musste. Ich wollte schlicht und ergreifend nicht, dass wir nicht ‘normal’ sind. Auf die Frage warum wir gibt es an sich natürlich keine Antwort, da ich weder an einen größeren Plan einer höheren Macht glaube, noch an Strafe in irgendeinem Sinne. Doch eine Aussage, die ich einst zu solch einem Thema hörte, finde ich nicht nur zutreffend, sondern auch sehr schön. Es passierte uns, weil wir stark genug sind, um damit umgehen zu können.

Stärke.

Ja, Stärke ist ein Wort und ein Gefühl, dass man unbedingt aufbauen muss, wenn man solch einen besonderen Menschen in seiner Umgebung hat. Bis auf motorische Störungen ist meine Schwester rein körperlich nicht eingeschränkt. Vor allem die geistigen Fähigkeiten leiden jedoch unter dem zerebralen Schaden, was aber nicht bedeutet, dass meine Schwester nicht versteht, was um sie herum passiert und welche Emotionen man ihr vermittelt. Stärke benötigt man vor allem dann, wenn man sich bewusst wird, dass dieser Mensch nie seine Träume verwirklichen kann, keine Familie gründen oder eine Karriere absolvieren kann. Stärke braucht man auch dann, wenn man merkt, dass die Gesellschaft sowas von überhaupt nicht bereit für Menschen mit Behinderung ist.

Die Gesellschaft ist nicht bereit dazu.

Die Freaks sind wieder unterwegs. Meine Schwester rennt lachend, singend und hüpfend durch den Supermakrt. Sie erfreut sich am Leben und am Sein und hat einfach nur Spaß. Was sie und wir jedoch ernten, ist kein Zuspruch, kein Lächeln, keine Freude. Abwertende und fast angeekelte Blicke, mit dem Finger zeigende und Nase rümpfende Menschen. Mir schnürt es das Herz zu, wenn ich daran denke, wie viel Ablehnung der wohl beste Mensch, den ich jemals kennenlernen durfte in unserer Gesellschaft erfahren musste.

Sie ist mein kleiner Engel.

Wenn ich in das Gesicht meiner Schwester sehe, sehe ich ein kleines Mädchen, das es liebt zu singen und das mit so einer Inbrunst und einer Tonlage, dass bei einem das Staunen nicht ausbleibt. Ich sehe eine junge Frau, die gerne mit Essen experimentiert und in einem anderen Leben sicherlich freudig mit auf den Foodblogger-Zug aufgesprungen wäre. Ich sehe einen Menschen, der so einfühlsam ist, dass er seine Schmerzen vergisst und versucht einen zum Lachen zu bringen. Ich sehe einen Menschen, der so viel mehr verdient hat als das, was ihm in den letzten Jahren widerfahren ist. Im Laufe ihres Lebens ist so viel Schreckliches passiert, in Einrichtungen, die ja eigentlich dafür werben, dass sie das volle Potenzial von Behinderungen hervorlocken und mit viel Liebe und Unterstützung diese Menschen ehren wollen. Schade, dass wir genau das Gegenteil davon erfahren haben. Dies soll jetzt aber nicht das Thema hier werden.

Ihr braucht kein Mitleid zu haben, zeigt Respekt.

Wir wollen und brauchen kein Mitleid. Weder meine Schwester noch wir als ihre Familie bedauern etwas. Wir lieben einander, erfahren die tollsten und einfühlsamsten Dinge miteinander und leben daher nicht schlechter. Meine Schwester und ich sind ganz normale Geschwister, die sich streiten, prügeln und sich am Ende doch wieder in den Armen liegen. Wir haben Futterneid, was dazuführt, dass ich früher heimlich in die Küche bin und so leise wie es nur ging, mir etwas zu essen machte, damit es meine Schwester nicht hört und auch was abhaben will oder dazuführt dass meine Schwester, wenn sie etwas besonders mag, es gleich in den Mund stopft, ehe ich auch nur die Gelegenheit habe, etwas abzubekommen. Wir sind als Familie glücklicher als so manch eine ‘normale’. Doch, was ihr haben sollt, ist Respekt. Respekt davor, dass meine Schwester kein Mensch zweiter Klasse ist, sie ist keine Missgeburt, die man vergaßen sollte und kein Etwas ohne Gefühle. Sie ist ein selbstbestimmter Mensch wie du und ich – mit Persönlichkeit, Schmerzen, Hoffnungen und Leidenschaften.  Ihr versteht etwas nicht? Kein Problem, dann fragt, aber zeigt nicht mit dem Finger und beleidigt, auch meine Schwester verletzt sowas!

Ich wäre nicht ich.

Ich wäre nicht so einfühlsam und empathisch. Wüsste nicht zu schätzen, was ich habe. Wäre nicht so dankbar für so vieles und hätte nicht diese ganz besondere Liebe erfahren. Gewiss wäre ich vielleicht auch nicht so sensibel und nah am Wasser gebaut, aber das ist eine Seite der Medaille mit der ich leben kann, meistens jedenfalls ^^. Meine Schwester zeigt mir immer wieder, was es bedeutet, tapfer zu sein und was bedingungslose Liebe heißt. Sie zeigt mir, dass man zueinander stehen muss und dass man viel voneinander lernen kann. Vor allem zeigt sie mir aber auch, dass man einen Menschen, seine Wünsche und Fähigkeiten niemals unterschätzen und kleinreden darf.

 

Welche Erfahrungen habt ihr im Bereich Behinderung? Habt ihr vielleicht auch einen besonderen Menschen in eurem Umfeld?

13 Comments

  • Ich kenne die Geschichte mit deiner Schwester ja. Aber diesen Text hier nochmal zu lesen und all die schönen Dinge nochmal hervorgehoben zu sehen, ist wirklich bewegend. Du hast wirklich einen sehr guten Text geschrieben in dem deine Gefühle, vor allem für deine Schwester, wunderbar hervorkommen. <3
    Natürlich habe ich besondere Menschen in meinem Umfeld. Aber keine mit einer Behinderung. Ich kann das dahingehend also nicht nachempfinden, wie solche Situationen sind wenn Menschen einem mit so viel Ablehnung begegnen. Aber du vermittelst ein sehr gutes Bild davon. Und ich finde es einfach furchtbar, dass Menschen so sind.
    Deine Schwester ist sicher ein ganz wunderbarer Mensch! Das hast du mit diesem Beitrag wirklich klasse deutlich gemacht. 🙂

    • Ich danke Dir vielmals für Deine lieben und unterstützenden Worte!
      Und ja, es ist sehr furchtbar, dass manche Menschen einem einfach mit so viel Ablehnung gegenübertreten. Aber leider haben es viele auch nicht anders gelernt…

      Liebst
      Sylvi

  • Was für ein wundervoller Text. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr alle und im besonderen deine Schwester auf viele Menschen trefft/trifft, die ihr und euch Wertschätzung und Respekt entgegenbringen. Besonders gefällt mir dein Zugang “weil wir stark genug sind”. Eine Freundin von mir hat ein autistisches Kind und sie kriegt das alles so toll hin und gibt ihrem Sohn das beste, das er bekommen kann. Ich kenne niemanden sonst, der das so könnte wie sie und vielleicht ist seine Seele deswegen zu ihr gekommen .

    • Lieben Dank für Deine schönen Worte und Deine liebevollen Wünsche!
      Es freut mich, dass Deine Freundin die Kraft und die Stärke hat diese Situation so gut zu meistern und es freut mich für ihren Sohn, dass er genau die richtige Mama erwischt hat :).

      Liebst
      Sylvi

  • Du Liebe, danke für diesen wundervollen und emotionalen Beitrag. Der ist einfach so ergreifend. Menschen sind nicht bereit… dieser Abschnitt fasste gerade mein Augenmerk, da ich immer wieder versuche meine Schüler mit dem Thema: Menschen mit Behinderung zu konfrontieren und es ist erstaunlich, wie gut unsere Jugend damit umgehen kann, aber auch gleichermaßen, wie schwer es ihnen fällt.
    Ich finde es toll, dass du so offen darüber geschrieben hast. Bewundere wie du und deine Familie damit umgeht und wie viel Liebe dieser Beitrag in sich birgt. Danke dafür.
    Liebste Grüße!

    • Vielen lieben Dank, Jenny.
      Ja, das glaube ich Dir, dass es gar nicht so einfach ist, es den Schülern mitzugeben. Leider erafhren sie daheim ja oft nichts positives in dieser Beziehung und nehmen das natürlichd ann auch mit nach ‘draußen’. Wenn sie aber erst einmal lernen, dass es nichts abstoßendes oder abnormales ist und es für sie auch nichts neues und befremdliches mehr ist, können Kids und auch schön ältere Heranwachsende richtig großartig damit umgehen!

      Liebst
      Sylvi

  • Sylvi ich bin gerührt…so toll geschrieben und ich wunderbare Worte gefasst! <3 Deine Art mit ihr zu sein, zu leben, zu lieben und alles positiv zu sehen ist beneidenswert und "Chapeau!" an Deine Schwester, Dich und Deine Familie. Super!

  • Das hast du wundervoll geschrieben. Danke für deine privaten Einblicke.Ich kenne komische Gesichter wenn man mit wundervollen, besonderen Menschen zusammen ist und sowas nervt mich oft total. Ich arbeite seit 15 Jahren mit besonderen Kindern und deren Familien zusammen und ich liebe meine Arbeit. Ich würde mich sehr, sehr freuen wenn viel mehr Menschen mehr Respekt zeigen. Denn ich finde, was ist bitteschön heute schon normal?

    • Danke Dir für Deine lieben Worte!
      Ich gebe Dir vollkommen recht – was ist bitteschön normal. Nur leider sind manche Menschen so festgefahren in dieser Beziehung. Man könnte ja sagen, sie wissen es halt nicht besser, was die Sache an sich aber auch nicht verbessert
      <3 Liebst
      Sylvi

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