15 Jahre ohne Dich. Papa, Du fehlst mir.

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15 Jahre ist es her. 15 Jahre, dass ich Dich das letzte Mal sah. Dass ich mit Dir sprach. Deine Stimme hörte, Deinen Geruch wahrnahm und Deine Nähe spürte. 15 Jahre, in denen ich so sehr bereue damals zu naiv und egoistisch gewesen zu sein, um abzuschätzen, wie kostbar die verbleibende Zeit mit Dir war und wie schnell sie einfach vorbeiging. Vor 15 Jahren kam der Anruf. Lief ich ins Krankenhaus. Warf noch einen letzten Blick auf Dich. War zu stumm, um nur ein Wort aus mir herauszubekommen. Gingst Du still, während ich Deine Hand hielt. 15 Jahre ohne Dich, Papa Du fehlst mir so sehr.

Ich weiß noch als wäre es gestern. Mein Papa kam zu uns zu Besuch und druckste etwas herum. Er war da, um uns die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium mitzuteilen. Da war ich gerade 18 Jahre alt. Er versprach mir alles zu tun, Chemo und Co. würde er mitnehmen und er würde mich nicht verlassen. Ich glaubte ihm, weil ich alles andere nicht begreifen konnte. Ich redete mir ein, dass wir noch ewig Zeit hätten. Ein ganzes Leben vor uns hätten, nicht ahnend, dass es nur noch 3 Monate wären. 3 Monate, die viel zu kurz waren und zu schnell voranschritten. 3 Monate, die ich nicht auskostete und nicht nutzte, um noch ein paar Erinnerungen zu sammeln. Es wurden Dinge für die Zeit nach seinem Ableben besprochen, doch für mich ging alles wie durch einen Nebel. Ich war gar nicht in der Lage das alles aufzunehmen. Wahrzunehmen. Zu begreifen und auch wahrzuhaben. Mein Papa? Niemals. Sowas passiert anderen, wir kommen nochmal mit einem blauen Augen und einem großen Schrecken davon. Liegen uns noch Jahre lang in den Armen und denken nur mit einem Schmunzeln an die Sorgen zurück. Dass das Leben endlich ist, ist jedem klar, aber wenn der Zeitpunkt kommt und man tatsächlich eine Deadline, im wahrsten Sinne des Wortes, erhält, ist es unbegreiflich.

Ich war wie in einer Schockstarre. Ignorierte es. Ging auf Studienfahrt. Verbrachte viel Zeit mit Herrn T., da wir da frisch zusammengekommen waren. Ich tat alles, nur nicht das, was ich wirklich hätte tun sollen. Die Schuld, die ich mir gebe, auch jetzt noch nach 15 Jahren, die Zeit nicht mit meinem Papa ausgekostet zu haben, wird niemals weichen. Ich habe sie verdrängt, Jahre lang, da der Schmerz des Verlustes und meiner Dummheit einfach zu unerträglich waren und immer noch sind. Es heißt so schön, dass die Zeit alle Wunden heilt. Ich sehe es nicht so, man lernt nur damit umzugehen bzw. sie zu verdrängen. Doch der Schmerz bleibt der gleiche. Und wenn dieser durchbricht, zerreisst es einen. Es zerreisst mich.

Dann war er plötzlich da. Der Tag, den ich niemals erleben wollte und niemals vergessen werde. Es war ein Dienstag und ich saß im Spanischunterricht als mein Philosophielehrer an der Tür klopfte und mich bat mitzukommen. Meine Mutter sei am Telefon. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was los war, wusste ich es doch sofort. Ich stand nun also im Sekretariat mit dem Hörer in der Hand und meiner Mama am anderen Ende der Leitung. Im Rücken der Lehrer und die Sekretärin. Meine Mutter erzählte mir, dass ich jetzt sofort zu meinem Bruder sollte – er wohnte nur wenig Gehminuten von meiner Schule entfernt – Papa liegt im Sterben und ich soll mich verabschieden gehen. Ich ging also ohne ein Wort zu sagen aus der Schule und zu meinem Bruder, wo ich bei meiner Schwägerin mit den Kindern auf meinen Bruder wartete. Er musste selbst erst von der Arbeit kommen. Und dann ging es los. Ich kann gar nicht mehr sagen, was genau ich auf der Fahrt fühlte. Da gibt es keinerlei Erinnerungen, sofern ich überhaupt etwas fühlte und nicht schlichtweg taub war. Wir stiegen am Krankenhaus aus. Gingen zum Aufzug und standen dann vor der Tür. Als sie sich öffnete, sah ich den Körper meines Papas auf dem Bett. Ein Schatten seiner Selbst. Offener Mund, dünnes, von der Chemo ausgefallenes Haar. Die Augen zu. Nur der Brustkorb hebte und senkte sich, während die Maschinen konstant piepten. Entgegen kam mir seine damalige Freundin. Sehr theatralisch, wie ich fand. Auch später bei der Beisetzung hätte sie eher in einer Telenovela mitspielen als einer echten Beisetzung beiwohnen sollen.

Ich setzte mich neben meinen Papa und hielt seine Hand. Es gab so viel zu sagen, aber ich blieb stumm. Es kam kein einziges Wort aus mir heraus. So unendlich viele Dinge, die ich nie gesagt habe, aber es hätte tun sollen. Nicht einmal ein Tschüss kam über meine Lippen. Ich hielt einfach nur seine Hand. Keine Ahnung, wie lang. Eine Ewigkeit und doch nicht lang genug. Das letzte Mal seine großen Hände haltend. Kalte Hände. Und dann fiel mein Blick auf sein Gesicht. Das war nicht mehr mein Papa. Er war gegangen. Nur noch die Hülle, die am Ende übrig blieb. Und der Brustkorb, der sich plötzlich nicht mehr hob. Als ich das bemerkte, wurde es hektisch. Ein Arzt kam rein und stellte den Tod fest. Und das wars. Einfach so. Es war vorbei. Sein Schmerz ging, meiner kam. Am Morgen hatte er wohl noch Flashbacks aus seiner Kindheit, in denen er etwas rief und nach seiner Mama schrie. Nun war er vielleicht bei ihnen. Selig. Ich bin zwar nicht gläubig, aber ich hoffe, er hatte seinen Frieden gefunden. Ich sagte mir, er wartete auf mich, damit ich mich verabschieden konnte. Hielt so lange durch bis wir noch einmal vereint waren. Und dann war Stille. Nicht im Raum. Da war es laut. Zu laut. Doch um mich herum. Als hätte jemand den Stummschalter gedrückt. So still.

Papa, Du fehlst mir so sehr. Es tut mir so unendlich leid, dass ich nicht verstand, wie kurz bemessen unsere Zeit hier noch sein sollte. Es tut mir so leid, dass ich sie nicht nutzte und Erinnerungen schuf. Dir noch einmal zeigte, wie sehr ich Dich liebe. Wie wichtig Du mir bist. Es tut mir so leid. Einfach absolut alles. Du fehlst mir so sehr. Deine Stimme ging als erstes. Was würde ich geben, sie noch einmal zu hören. Deinen stoppeligen Bart zu fühlen, wenn Du mir ein Küsschen gegeben hast. Dein Lachen zu hören. Dich anzuschauen, wie du grinsend vor mir saßt, den Daumennagel in Deiner Zahnlücke haltend. Dein Geruch von Leder und diesen kleinen Bonbons, die du immer in der Schwimmtasche hattest, zu riechen. Einfach noch einen Tag mit Dir zu verbringen. Nur einen einzigen. Ich würde Jahre dafür geben.

Ich bin nicht gläubig, aber ich hoffe, es wird der Tag kommen, an dem wir uns wieder sehen. Und ich all das gut machen kann, was ich versäumte.

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